PORTRÄT UND INTERVIEW

Unkonventionelle Generalisten

Kresings, Studio Münster

  • Autorin: Uta Winterhager
  • Fotos: Kirsten Bucher, Roman Mensing

Die Kresings findet man in Münster im Hansaviertel – früher wurde es ein wenig geschmäht, heute ist es ein populärer und junger Stadtteil von Münster.

Rainer Maria Kresing hat hier 1989, als das von ihm gegründete Studio Kresing gerade einmal vier Jahre alt war, eine alte Kornbrennerei gekauft und ausgebaut. Einen Teil davon nutzen Kresings bis heute, andere Flächen sind vermietet. Sofort ins Auge fällt der Dachaufbau, eine rote Box, die etwa eineinhalb Meter über den Backsteinbau hinausragt. Kresing erstand die Box, die temporär das Café des Landesmuseums ersetzt hatte, quasi zum Selbstabholerpreis. Nachts wurde sie mit einem Kran auf das Dach gesetzt, heute ist dort die Kreativabteilung des Büros zu finden. Zwei Eigenschaften des Seniorpartners zeigen sich darin: Er ist in Münster, wo er 1952 geboren wurde, gut vernetzt und er ist offen für unkonventionelle Lösungen – Routine mag er gar nicht. Da hat ihn auch sein Studienjahr in Delft sehr geprägt, denn seitdem weiß er: Der Architekt benötigt Erfindergeist. So realisierte er mit seinem ersten Projekt 1989, der Konversion einer Karstadt-Filiale für das Stadtmuseum Münster, eine Idee, die ihrer Zeit weit voraus war. Dass keine Lösung der anderen gleicht, das zeigt auch das 2006 erschienene Buch „19 Stories“, das 19 von vielen Projekten vorstellt: Schulen, Institute, Wohnbauten, Kultureinrichtungen, zwei Kirchen und Büros, die Kresings in verschiedenen Partnerschaften und Arges entworfen und realisiert haben. „Der Architekt ist der letzte Generalist“, sagt Kresing und erläutert damit, warum ihm nicht an einer Spezialisierung gelegen ist. Wichtig ist ihm, dass jeder im Büro alle Leistungsphasen beherrscht, damit die Arbeit nicht im Akkord erledigt wird.

Gezählt hat Rainer Maria Kresing seine Projekte nie, wohl aber – mehr ein Zufall – die Zahl der Mitarbeiter. Es waren rund 400 seit 1985, einige von ihnen, wie der Projektleiter des Center for Soft Nanoscience (SoN) Thomas Teepe, haben ihn seitdem begleitet. Seit 2010 arbeitet auch Kilian Kresing im Büro. Wie sein Vater hat er sein Studium an der TU München begonnen und mit dem Diplom an der RWTH Aachen abgeschlossen. Er sammelte Erfahrungen in Berufspraxis und Lehre im In- und Ausland, um dann mit 30 Jahren wieder an den Stammsitz zurückzukehren. Drei Jahre hatten Vater und Sohn sich als Probezeit für die gemeinsame Arbeit gegeben, jeder von beiden hätte aussteigen können. Doch es blieb dabei, Kilian Kresing wurde 2010 zum Geschäftsführer ernannt und dem Studio Kresings hängt seitdem das Plural-s an.

Drei Jahre hatten Vater und Sohn sich als Probezeit für die gemeinsame Arbeit gegeben, jeder von beiden hätte aussteigen können.

Er hat die kreative Rastlosigkeit seines Vaters übernommen, sorgt „für stetige Weiterentwicklung“ – auf diese Weise ist mehr Bewegung hineingekommen und das Büro ist gewachsen. Die Zahl der Mitarbeiter, heute sind es rund 60, hat sich mit der Gründung des Düsseldorfer Standortes im Sommer 2016 verdoppelt. Geleitet wird das Düsseldorfer Büro von Christian Kawe, der als dritter Geschäftsführer fungiert. Auch der Wirkungskreis des Büros konnte über Münster und Nordrhein-Westfalen ausgebaut werden, nun arbeitet es deutschlandweit von Konstanz bis Hamburg.

Mit dem Eintritt der neuen Generation hat sich auch die Akquise verändert, denn, so sehen es beide, die Zeit der anonymen Wettbewerbe ist vorbei. Heute setzen sie auf VgV-Verfahren, in denen sie ihr Büro und ihre Idee persönlich vorstellen können. Folglich konnte die jüngste Publikation auch keine klassische Monografie mehr sein, sondern erschien als Kresings Magazin No. 1, das viel über die Menschen erzählt – die, die bauen, und die, für die gebaut wird.

In Konstanz bauen Kresings derzeit ein Institut für Schwarmforschung, in dem Biologen und Informatiker zusammenarbeiten. Weil es das Erste seiner Art ist, müssen auch die Architekten dabei Pionierarbeit leisten. Und genau das liegt ihnen: stetig Neues schaffen. „Wenn wir ein Institut bauen“, so Rainer Maria Kresing, „bekommen wir auf diesem ‚zweiten Bildungsweg‘ ein immenses Spezialwissen, trotzdem bleiben wir die Fachleute für die ästhetische Ausformung.“ So haben sie die Bodenhaftung nie verloren.

Im Gespräch mit …

Rainer Maria und Kilian Kresing, Münster

Rainer Maria Kresing links im Bild mit seinem Sohn Kilian Kresing

Dass Vater und Sohn zusammenarbeiten, ist bei Architekten ein bewährtes Modell. Hat man als Sohn eine Wahl?

Kilian Kresing: Wer in einem Architektenhaushalt aufwächst, hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er läuft davon, wie meine drei Geschwister es gemacht haben, oder er springt auf den Zug auf. Aber dass wir heute hier zusammenarbeiten, hat sicher auch damit zu tun, dass ich zunächst einmal meinen eigenen Weg gegangen bin. Erst als beide der Meinung waren, dass die Zeit reif wäre, haben wir das Projekt Kresings gestartet – seitdem hängt dem Büronamen das Plural-s an.

Wie werden Sie denn wahrgenommen?

Rainer Maria Kresing: In einem Verhandlungsverfahren haben wir einmal unser weit über den eigentlichen Hausbau hinausgehendes Architekturverständnis dargelegt. Hinterher hörten wir, dass wir gewonnen haben, weil es ihnen so imponierte, dass – egal wer von uns gesprochen hat – der andere das Gespräch ohne Bruch weiterführte. Es war für mich als Vater das größte Kompliment, dass mein Sohn nun als mein Partner würdigt, was ich angefangen habe, es weiterentwickelt und darauf aufbaut. Das gibt mir absolute Sicherheit.

KK: Auch den Bauherren gibt es Sicherheit, dass der Alte das Schiff sicher in den Hafen fährt und der junge Wilde frischen Wind mitbringt. So bekommen sie mit einem gut funktionierenden Familienunternehmen the best of two worlds.

Was hat sich mit Ihrem Eintritt ins Büro geändert, Kilian Kresing?

KK: Obwohl unser Büro in Münster gut lief, haben wir vor drei Jahren ein Satellitenbüro in Düsseldorf eröffnet – das ist mittlerweile genauso groß wie das in Münster. Als zweite Generation muss man aufpassen, dass man sich nicht auf dem vom Vater Erreichten ausruht. Man muss sich weiterentwickeln. Stetige Weiterentwicklung, die habe ich mitgebracht.

Und wer ist Ihr dritter Mann?

KK: Christian Kawe, er ist ein Glücksfall für uns. Ich bin die halbe Woche in Münster, die andere Hälfte in Düsseldorf, dazwischen bin ich unterwegs, weil wir Projekte von Hamburg bis Konstanz bearbeiten. Uns war klar, dass ich es nicht schaffen würde, mit zwei Tagen in der Woche ein neues Büro gut zu strukturieren. Christian und ich, wir kannten uns schon lange, weil wir in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet haben. Architektur ist Teamwork. Wer meint, er könne alles selbst machen, liegt falsch.

Gibt die Größe Ihnen mehr Sicherheit?

KK: Wir haben jetzt einen soliden Stamm von knapp 60 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und fühlen uns in der Lage, in allen Ligen mitzuspielen. Unser Anspruch ist, alles umfänglich zu bearbeiten, auch wenn es im Ausnahmefall mal ein Einfamilienhaus ist. Zwei Standorte geben uns eine größere Reichweite, so dass wir deutschlandweit arbeiten können.

Welches Bild hatten Sie von dem Center for Soft Nanoscience (SoN) vor Augen, als Sie sich das erste Mal mit dieser Aufgabe beschäftigt haben?

RMK: Nanoscience, das wird wohl etwas sehr Kleines sein, dachten wir uns, aber wir mussten die Wissenschaftler und ihre Arbeit erst einmal kennenlernen. Also haben wir einen Workshop veranstaltet und sie gebeten, uns zu erklären, wie sie arbeiten. Es ist richtig ansteckend, wenn die Wissenschaftler für ihre Arbeit brennen, auch wenn die sich heute weit von der Gesellschaft entfernt hat. Aber am Ende bauen wir ein Gebäude, in dem Menschen arbeiten. Und das Menschliche muss erkennbar sein. Deshalb sind Blumen weitaus besser geeignet als ein Stacheldrahtzaun. Es ist für uns als Architekten das größte Kompliment, wenn wir hören, dass Menschen über ein Gebäude sprechen, weil es sie berührt.

"Architektur ist Teamwork. Wer meint, er könne alles selbst machen, liegt falsch".

Kilian Kresing, Studio Kresings, Münster

Eine Forderung des Bauherrn war, dass der Neubau des SoN die internationale Sichtbarkeit des Wissenschaftsstandorts Münster deutlich erhöhen solle. Wie haben Sie darauf reagiert?

RMK: Das ist keine neue Forderung, wir suchen immer ein Feature, das dem Gebäude zu eigen ist. Wir mögen keine rechtwinkligen geraden Kisten – der Minimalismus ist für uns nicht das höchste Maß der Ästhetik. Unsere Erfahrung aus anderen Projekten zeigt: Wenn man etwas schlüssig erklärt, bekommt man auch ein gutes Ergebnis. Natürlich gibt es einen Kostenrahmen, aber darin kann man spielen.

KK: Wenn man jemanden aus Harvard nach Münster locken will, dann haben nicht nur der Ruf und das tolle Mikroskop einen Einfluss auf dessen Entscheidung, sondern auch die Adresse, an der man sich über Jahre aufhalten wird.

Kleiner Besprechungsraum im alten Pförtnerhaus

Wann ist etwas gut? Sind Sie sich da einig?

RMK: Ich mache von jedem Projekt, wenn es fertig ist, eine kleine Skizze, die mit ganz wenigen Strichen das Wesentliche des Gebäudes wiedergibt. Wenn man die nebeneinanderlegt, erkennt man sehr schnell, welches besser und welches schlechter ist.

KK: Dass das SoN als Radiergummi bezeichnet wird, haben wir nicht geplant. Aber von den 40 Gebäuden, die hier in Münster auf dem Campus stehen, hat nur dieses einen Namen bekommen. Ich verstehe das jetzt mal als Kompliment.

„Als zweite Generation muss man aufpassen, dass man sich nicht auf dem vom Vater Erreichten ausruht. Man muss sich weiterentwickeln.“

Kilian Kresing, Studio Kresings, Münster

RMK: Generell kann man sagen: Architekten sind verpflichtet, auch morgen noch so zu bauen, dass es der Gesellschaft und dem Einzelnen dienlich ist. Umso wichtiger ist es, aus seinem eigenen Impetus heraus zu erfinden, was der Einzelne für eine Lösung braucht. Architektur muss einen jeden Tag neu packen.

Architekten

Kresings Architektur GmbH,
Lingener Straße 12, 48155 Münster

Das Architekturbüro Kresings ist ein deutschlandweit tätiges Familienunternehmen mit aktuell 60 Mitarbeitern und Standorten in Münster und Düsseldorf. Sein interdisziplinäres Leistungsspektrum umfasst neben Architekturleistungen auch Städtebau sowie Innenarchitektur in den Bereichen Büro, Wohnen, Bildung, Labore, Hotel und Event. Geleitet wird das Studio von Rainer Kresing, Kilian Kresing und Christian Kawe.

Projekte (Auswahl)

2022 Alexander-von-Humboldt-Schule, Rüsselsheim a.M.
2020 SOS-Kinderdorf, Düsseldorf
2019 Wohn- und Bürogebäude Hageloft / MUUUH! Group, Osnabrück
2016 4. Aachener Gesamtschule, Aachen
2015 Deutschlandzentrale Mitsubishi Electric Europe, Ratingen

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